Das große Sommerkonzert der Singvøgel war – um nicht ganz auszufallen – das große Solokonzert Karans (mit Sven an der Percussion) geworden: Ende Juni in Marburg.
Einen Tag zuvor, es war ein Donnerstag, stand ich (Duke) bei einer vermeintlichen Routineuntersuchung in Heidelberg und fragte den Arzt noch halb witzelnd: „Sofort operieren, sagen Sie? Wohl schon am Montag?“ – „Sofort!“, meinte der Augendoc jedoch und bekräftigte ernst: „Gestern wäre besser gewesen!“ – Ich hatte eine Operation am Grauen Star hinter mir, doch die Symptome waren eher noch schlimmer geworden: Rein gar nichts hatte ich mehr gesehen auf dem frisch operierten Auge.
Und hatte, als das so blieb, einigermaßen krakeelen müssen, um – Tage später – doch noch eine Nachuntersuchung zu bekommen… bei der dann endlich entdeckt wurde: Meine Netzhaut löste sich ab! Notoperation!
Und das unmittelbar vor dem MagicMeet in Marburg. Ich stand im kalkweißen Klinikraum und halluzinierte mich unwillkürlich barfuß auf das Gras, das ich nicht sehen, geschweige denn spüren würde, meinte das Knacken des Lagerfeuers zu hören, an dem ich nicht sitzen würde, geschweige denn singen. Die Kollegen ahnten noch nichts. Noch nie in meiner langen Laufbahn hatte ich einen Gig absagen müssen.
Für jenes kleine, aber feine Festival in Marburg war ich gleich dreifach engagiert gewesen: am Freitagabend für – tatsächlich am Lagerfeuer – Kostproben aus meinem neuen Soloprogramm, am Samstag nachmittag für die offizielle Lesungs-Premiere meines jüngsten Buches „Der Sonnenglanz“, und am Abend dann die Krönung: das lang erwartete und sorgfältig eingeprobte Singvøgel-Konzert. Mit neuem Konzept, einigen Überraschungen – doch dann überraschte nur mein gesundheitlicher Totalausfall.
Wir waren nicht auf Tournee, nicht mal einer Gigreihe: Festivals, auf denen nur die Headliner bezahlt werden, während alle anderen Acts umsonst auftreten müssen, unterstützen wir ja schon länger nicht mehr. Das hat unsere jährlichen Termine sehr überschaubar gemacht.
Umso wichtiger wurden uns die ausgesuchten Gelegenheiten, zu denen uns engagierte Menschen einladen, die die entsprechenden Events meist aus eigenem Vermögen und freizeitlich stemmen – und sich große Mühe geben, uns im Rahmen der jeweiligen Möglicheiten anständige Konditionen zu bieten. Und dafür geben wir gern unser Bestes. Das Engagement ist ein gegenseitiges. Niemand schaut da auf den Cent, aber alle darauf, dass mehr entstehen kann, als die verfügbaren Euros alleine vermuten ließen.
Und so erblühen bleibende Erinnerungen an wunderschöne Begegnungen; Konzerte und Momente, die Kraft geben in einem Alltag, der oft allzu grau und trostlos daherkommt und in dem wir uns alle so oft alleingelassen fühlen: mit all den schlechten Nachrichten um uns herum, in diesem reichen, aber unglücklich wirkenden Land (das so lange nach seiner „Wiedervereinigung“ zerrissener scheint als je zuvor), auf diesem überall brennenden Globus, während man selber kaum die brennendsten Privatprobleme zu lösen vermag… von hoffnungsvollen Utopien ganz zu schwelgen. Wer glaubt an glücklichen Ausgang?
Ich durfte einen erleben: mehrfach, ja, vielfach! Ja: nur in meinem Leben, aber wenn dich wirklich etwas jäh und unvorbereitet erwischt, wie zum Beispiel eine drohende Erblindung, dann relativiert sich solches „Nur“ aufs Allerfeinste! Und ist das Kleine nicht gern ein Spiegel des Großen? Das gilt nicht nur fürs Katastrophale, sondern gerade und auch fürs Schöne, Gute, Wunderbare!
Ich stand vor dem Nichts. Keine Lesung und kein Konzert, das hieß auch: kein Bücherverkauf, kein Gagenanteil. Einnahmen, mit denen ich fest gerechnet hatte! Doch dann nahmen’s die Kollegen in die Hand, als hätte man’s planen können: Die Lesung konnte stattfinden, weil Karan sie gab und an meiner statt den Text vortrug. Ich hätte es hören und sehen mögen! Umständehalber waren zwar keine Bücher vor Ort – aber die Kollegen verkauften sie trotzdem!
Ich staunte nicht schlecht, als Karan und Sven an meinem Krankenhausbett auftauchten und mir ein Buch nach dem anderen hinhielten. Wer welches bekam, also wem ich welches widmen sollte, mussten sie mir vorsagen: Ich konnte nur Schemen erkennen und hoffte, mit meinem Autogramm überhaupt die Buchseite zu treffen.
Und ein riesiges Unterschriften-Poster gab’s: mit den Genesungswünschen der Fans, Freunde und Sympathisant*innen vom Marburger Fest – das hängt jetzt bei mir daheim überm Bett. Immer noch – denn es ist ja noch nicht zu Ende. Die Behandlung geht weiter (eine OP steht noch bevor) – und das Leben auch: das jedoch weit besser, als es zwischenrein ausgesehen hatte. Der glückliche Verlauf der langwierigen Genesung war, so sagten die Ärzte von Anfang an, Glückssache.
Wochenlang schlief ich schlecht: in verordneter Bauchlage, mit dem Gesicht nach unten, um das Gas, das sie mir ins Auge operiert hatten, nach oben steigen zu lassen, wo es die Netzhaut an die Augeninnenwand drücken sollte… Geschenkt, dass ich nichts heben durfte und, etwas umständlicher schon, mich nicht bücken sollte. (Für einen Zweimetermenschen sind die meisten Sachen tendenziell eher unten – und gerade, wenn du fast nichts siehst, fällt dir noch viel schneller mal was runter als sonst.) Das Schlimmste war das strikte Leseverbot.
Nichts lesen hieß auch: nichts schreiben. Erst im Verzicht wurde mir bewusst, wie stark ich Tag für Tag mein Inneres zu reflektieren pflegte: durchs Aufschreiben von Gedanken – und sei es auch in ganz lapidarer Form von Arbeitsnotizen und irgendwelchen Tabellen für dieses und jenes laufende Projekt.
Nichts schreiben hieß auch: Das selbstverständliche Chat-Geplauder mit der Intimfreundin, dem Kumpel, der Bekannten – alles weg, alles plötzlich ganz umständlich. Der Facebook-Messenger erlaubt auch Sprachnachrichten, jau. Ich übte den Sport, dabei mit dem Finger auf dem Mikrofonsymbol zu bleiben (mein Tablet verstand nicht immer, was ich wollte) – und die Durchsagen in Einminutenschnipsel zu verpacken, denn mehr als 60 Sekunden am Stück erlaubte die App nicht.
Ich telefonierte auch – aber anlasslos Leuten hinterherrufen? Plauder-Chats zwischendurch waren, stellte ich erst jetzt fest, selbstverständliche Bestandteile mancher Kontakt- und Freundschaftspflege geworden. Freunde und Bekannte schickten mir Hörbücher.
Was aber noch häufiger eintraf – und mir tatsächlich die Existenz rettete, die langwierige Genesung erst ermöglichte – waren Spenden. Karan hatte dazu aufgerufen: im Netz alle Pferde scheu gemacht! Ich bekam gar keine Gelegenheit, vor Peinlichkeit im Boden zu versinken – die Lieblingskollegin hatte mich wohlweislich gar nicht erst gefragt, sondern gleich beherzt gehandelt. Und was da zusammenkam – von vielen kleinen Beträgen bis zu manch außerordentlich großzügigen – war, ich kann es nicht anders nennen, überwältigend!
Und verschaffte mir zwei Monate (in denen ich tatsächlich nichts anderes machen konnte, als halbblind durch einen sehr reduzierten Alltag zu schlurfen – alles immer schön langsam, ganz langsam – und auf allmähliche Besserung zu warten) Ruhe: zum Genesen.
Die tatkräftige Unterstützung der Vielen – und die herzlieben Wünsche und Grüße, die bei mir eintrafen – veränderten meine Weltsicht aufs Heilsamste. So viele Leute da draußen, denen ich nicht egal bin? Die meine Arbeit vermissen: meine Texte und Videos, Lieder und Lebenszeichen? Halbblind zum Nichtstun verdammt, musste ich erkennen, dass ich vorher – sehenden Auges – noch viel blinder gewesen war: all dieser Wertschätzung gegenüber, in der ich nun plötzlich badete, der ich sozusagen situativ nicht mehr auskam. Die ich jetzt endlich bemerkte. Ich weinte glücklich.
Wir Singvøgel lebten ja noch nie nur für die Verkaufszahlen – oder gar von ihnen. Aber manchmal – und ich glaube, daran leide ich nicht alleine – übersieht man vor lauter Sorge oder Gram (bei dem es sich auch gern mal um alten, längst nicht mehr zwingend wirksamen Kram handelt: einfach mal untersuchen!) die Wirklichkeit… Und die ist oft besser als ihr Ruf. Sie will allerdings entdeckt werden unter all dem Geschrei, Geunke, Gehetze und Gefürchte.
Ich bin immer gern ein leidenschaftlich kritischer Geist gewesen, oder habe mich darum bemüht: nicht nur, aber auch. Ich kann nichts reparieren, verbessern oder beheben, wenn ich den Schaden nicht benennen kann oder darf – wozu dessen Feststellung und Untersuchung gehört und, in schwierigen oder besonders komplexen Fällen (wie denen gesellschaftlichen Miteinanders zum Beispiel), die Diskussion darüber, worum es sich handelt und wo etwas im Argen liegt oder ob.
Ich bin nicht nur ein Gegner von Gesundbeterei, ich halte solches Gefrömmel, so nachvollziehbar es zuweilen sein mag, schlicht für absurd. „Energie folgt der Aufmerksamkeit“, schon klar, aber wenn ich beim Überqueren der nächsten Straße den Verkehr ignoriere, weil ich mich echt null für LKWs interessiere, dann überrollt mich der nächste – oder etwas anderes.
Auf der anderen Seite aber lasst uns nicht vergessen, wieso wir überhaupt unterwegs sind: und sei es für das Ziel, diesen ganzen schrecklichen und gefährlichen Verkehr, auf den wir so achten müssen, auf Dauer zu verändern. Und gleich neben dem Grau, auf das wir uns täglich so konzentrieren – weil es notwendig ist und nicht anders geht und so weiter und so ächz – gleich daneben blüht es bunt, lebendig, unverdrossen und trotzdem.
Das Leben ist zu kostbar, um es allein der Verzweiflung zu überlassen – und wenn die noch so viele Gründe anführen mag. Sie soll nicht mein Tun anführen und nicht mein Denken beherrschen. Ich will der Hoffnung, die durch so viele böse kleine Sticheleien fast ganz aus unseren Köpfen verschwunden ist, eine Chance geben – und sie weiterreichen: von Herz zu Herz.
Mir wäre nach einem Dankeschön-Konzert zumute.
Wo am besten?
Anregungen nimmt jede Singvøgel-Dienststelle gerne entgegen. 😉
Na, in Marburg natürlich!
Huhu, Duke! Wo auch immer ihr das Konzert spielt, stellt es bitte ins Netz! Denn die Leute, die bei dir waren sind ja von überall!
PS: Sach mal? Der Odin? Der hat doch auch nur ein Auge, oder? ?